2007 – Große Hölle

Eine Tour mit meinem Drahtesel „Otto“ am 14.07.2007 zur „Großen Hölle“

In der ganzen Woche war es kühl und regnerisch, am 12.07.07 waren es gerade mal 17 °C, und es waren in der Woche ca. 30 l Regen gefallen. Die Wetterfee vom BB Radio, Klara Himmel, hat für heute Sommerwetter angesagt.

Die Morgensonne lachte schon, als ich aufstand, und die Temperaturen waren angenehm. So konnte ich mit Otto, ohne Regen im Nacken zu fürchten, gegen 13:00 Uhr starten. Mein Weg führte mich über den Weg am Friedhof (Friedhofsgrund, die alten Wendemarker sagen Kirchhofsgrund) auf den Rostoskiweg.

Von hier lenkte ich mein Rad auf dem Otto-Rostoski-Weg weiter bis zur Chaussee in Richtung Gramzow. Der Regen in den letzten Tagen, den wir schon seit dem 27.06.2007 (Siebenschläfer) in täglichen Schauern hatten, hat den Sandweg befestigt und seine Spuren hinterlassen.

Regenspuren auf dem Weg

Am Wegesrand blühen die Diestel, Kletten, Kamille, Schafgarbe, Wegwarte u. a., beim Anblick der Klettenblüten kommen mir wieder Kindheitserinnerungen. Die Kletten vertrieben uns die Zeit beim Gänsehüten. Da bauten wir uns Puppenstuben daraus. Die Jungen benutzten diese Kletten auch als Waffen gegen uns Mädchen, wenn sie uns damit bewarfen, hatten wir Mühe, diese Kletten von den Sachen und aus den Haaren zu bekommen.

Klettenblüten

Die Gerste wurde in diesem Jahr schon sehr zeitig geerntet. Das war schon in den letzten Junitagen. Das Weizenfeld hat unter dem vielen Regen sehr gelitten, es sind keine goldgelben Felder mehr. Die 2003 erbauten Windkraftanlagen im Windpark Briest drehen sich im leichten Sommerwind und erzeugen Strom.

Windpark Briest

Auf den Rapsfeldern sind schon viele Schoten aufgeplatzt und die Körner ausgefallen. Wer weiß, wie sich das auf den Ertrag auswirkt. Auf der alten B 166, die hier zum Glück keine Autostraße ist, wie es die neue Umgehungsstraße 2006 wurde, radele ich weiter in Richtung Zichow. Nach der Erneuerung der Fahrbahn (nach 1990) wurden die alten Apfelbäume abgeholzt und dafür Lindenbäume gepflanzt. Die einzelnen großen Linden wurden nach 1945 gepflanzt, als Ersatz für abgeholzte Apfelbäume.

B 166 Linden, B 166 blühende Apfelbäume in den 1950er Jahren Foto von W. Bläsing zur Verfügung gestellt

Vorbei führt der Weg am Jettenpfuhl, der aber schon einige Jahre kein Wasser mehr hat und mehr und mehr verlandet. Der Sage nach soll sich hier mal eine junge Frau mit Namen Jette ertränkt haben. Sie war Magd bei einem Bauern in Briest und bekam von ihm ein uneheliches Kind. Er hatte ihr vor ihrem Techtelmechtel wohl die Ehe versprochen, später sich aber nicht mehr daran erinnert. Eine Schwangerschaft vor der Ehe war Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch ein große Schande, uneheliche Kinder waren Bastarde. Diese Schande wollte sie wohl sich und ihrem Kinde ersparen, und sie soll sich in dem Pfuhl ertränkt haben.

Ein Auszug aus der Briester Kirchenchronik zu sittlichen Beziehungen:

„… In sittlicher Beziehung gleichen diese Gemeinden im Großen und Ganzen den besseren Gemeinden hiesiger Gegend, wenn schon unter den 104 in den 3 letzten Jahren getauften Kindern 13 uneheliche waren und unter den 1881 getrauten 6 Paaren 3 ohne Kranz erschienen.“

„… Am 30. Dezember 1929 beschloss der GKR Briest, angeregt durch die am 2. Dezember auf Grund des Artikels 22 der Kirchenverfassung abgehaltenen Gemeindeversammlung (es war die 1. hier überhaupt abgehaltene Versammlung) einige Änderungen in den kirchlichen Sitten einzuführen. Die wichtigste war wohl die, daß künftig beim Aufgebot zur Trauung die Bezeichnungen Junggeselle und Jungfrau fortfallen sollen; auch Herr und Fräulein soll nicht gesagt werden. Es waren zu viel Unwahrheiten in dieser Hinsicht vorgekommen.

Durch solche Sitten wird der Unwahrheit Vorschub geleistet, aber nicht erreicht, daß die jungen Brautpaare rein in die Ehen treten. Der alte P. Hanse war in dieser Beziehung ein großer Eiferer und doch hat er damit nichts erreicht. Stand doch gerade zu seiner Zeit Briest im schlechtesten Rufe hinsichtlich des 6. Gebots.
Es ging damals folgende Scherzfrage und -antwort in der Umgebung um: „Was kriegt ein Mädchen für Lohn in Briest?,35 Thaler und ein Kind!

Wenigstens bietet die Kirche jetzt nicht mehr die Hand zur Unwahrheit und bestraft am Hochzeitstage nicht mehr die Mädchen, die noch den Mut zum Kinde haben.“

Meine Tour führt mich vorbei an der „Großen und Kleine Hölle“. Die „Kleine Hölle“ links in Richtung Zichow wird schon seit einigen Jahren nicht mehr beackert.

Kleine Hölle

Die „Große Hölle“ trägt ihren Namen, seitdem das PCK dieses Flurstück als Abfallgrube nutzte zu Recht.

Große Hölle Informationstafel, linke Seite des „Höllensees“, rechte Seite des Höllensees>

Zu DDR Zeit wurden die Ölablagerungen in Abständen bei Westwind angesteckt, und riesige schwarze Rauchwolken zogen über das Randowtal. Bei Ostwind hätten die Rauchschwaden den Verkehr auf der Chaussee lahm gelegt.
Ob dieses Gemisch aus dem See mal zu einer Umweltkatastrophe führt, wer kann das vorhersagen? Kluge Köpfe behaupten ja, dass von hier keine Gefahr ausgeht, weil die vorhandenen Erdschichten ein Einsickern der Schadstoffe ins Grundwasser verhindern.
Unweit von diesem Höllen-Cocktail befindet sich das Wasserwerk von Wendemark. Von hier werden die Orte Wendemark, Briest, Golm, Fredersdorf und Zichow mit Trinkwasser versorgt. Auch die Milchproduktionsanlage der AHV Passow bezieht das Wasser von hier. Der Höllensee wird von einem grünen Gürtel umgeben.

Grüner Gürtel um die große Hölle

Einen kurzen Abstecher mache ich zur Wröth. Von der Chaussee hat man als kleine Person noch einen kleinen Blick auf die Wasserfläche. Ein breiter Schilfgürtel und die Büsche und Bäume am Uferrand gewähren nur noch an zwei Stellen einen Zugang. Ein Angelkahn, der an einem Steg befestigt ist, der seine besten Zeiten auch schon lange hinter sich hat, lässt vermuten, dass hier die Anglerherzen höher schlagen. Die Seerosen blühen, und ein Schwanenpaar dreht seine Runden. Der zweite Zugang zum Wasser ist nur eine kleine Schneise im Schilf.

Wröth, Angelkahn, Zugang zum See, „Finde den Frosch!“, Da ist er ja!

In eine der Pfützen auf dem Weg kam, als ich ausweichen wollte, plötzlich Bewegung. Wer sich in diesem Moment wohl mehr erschrocken hatte? Die drei Frösche oder ich? Eine kleine Verschnaufpause legte ich nun ein, denn ich wollte die Frösche doch vor meine „Linse“ bekommen.

Die Sonne und die blinden Fliegen stachen auf mich ein, langsam klärte sich das Wasser in der Pfütze, die Mückenlarven tummelten sich munter, und der erste Frosch steckte den Kopf aus dem Wasser. Kaum hatte er mich entdeckt, suchte er auch schon wieder unter Wasser Schutz. Der zweite Frosch zog es vor, sich etwas zu tarnen, und als ich ihm mit meinem Fotoapparat zu nahe kam, machte er einen kühnen Sprung an den anderen Rand der Pfütze und beobachtete mich vom sicheren Grund.
Länger wollte ich die Frösche nun nicht in ihrer Mittagsruhe stören, sie hatten genau wie wir Menschen schon lange auf diese wärmenden Sonnenstrahlen gewartet. Weiter führte mich nun mein Weg auf dem Plattenweg zum Zichower Vorwerk in den Lindenweg.
Das ehemalige Trockenwerk des VEG Zichow liegt im Dornröschenschlaf, nur wird hier auch in 100 Jahren kein Prinz vorbeikommen und es zum Leben erwecken.

 Trockenwerk hinter dem Rapsfeld

Die alte Kopfsteinpflasterstraße (Lindenweg) vom Dorf Zichow zum Vorwerk Zichow wurde 2006 erneuert. Hier rollt das Rad auf der bitumierten Straße fast von allein, denn hier geht es immer bergab (landschaftlich), wirtschaftlich hat das Vorwerk Zichow bis 1990 auch bessere Zeiten gesehen.
Aber die schmucken neuen und renovierten Häuschen zeugen davon, dass sich hier einige Menschen wohlfühlen.

Das Dorfeingangs- und Dorfausgangsschild befindet sich in einer Biosphäre. Zum Glück ist es leuchtend gelb und nicht grün, man muss schon näher hinsehen, um den nächsten Ort zu erkennen. Und was steht da geschrieben? Passow 5 km. Eigentlich müsste da stehen: Passow/Wendemark, denn wer nach Passow will, muss erst durch Wendemark, und Wendemark ist nun mal ein bewohnter Gemeindeteil von Passow.
Steil bergab führt der Weg ins Randowtal. Das Kopfsteinpflaster erfordert harte Radfahrer, für zarte Radwegefahrer, die nur auf teuer ausgebauten Radwegen fahren wollen, wäre das eine lebensbedrohliche Strafe.

Dorfausgangsschild, Weg nach Wendemark, Kastaniendreieck im Zichower Wald

Ein weiter Blick ins Randowtal ist von hier möglich. Ein paar Eindrücke am Wegesrand -. Silberdistelblüten werden von Schmetterlingen und Bienen umschwärmt, kleine blaue Schmetterlinge sammeln sich auf der Erde, sie sind zwischen den Steinen gar nicht zu erkennen.

Weiter geht es im Schüttelgang bis zum Kastaniendreieck. Hier führt rechts der Weg nach Wendemark und links in die Randowwiesen.
Die größeren Feldsteine am Wegesrand, mit weißen Schriftflächen, müssen auch noch beschriftet werden und dienen dann als Wegweiser. Eine gute Idee vom Amt Gramzow.

Hier beginnt nun ein Betonplattenwegenetz, das im Zuge der Komplexmeliorationsmaßnahmen in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Vorbei an der unangenehm riechenden Siloanlage des Landwirtschaftsbetriebes AHV Passow, hinein in das weite Grün des Randowtales.
Die beidseitige Bepflanzung der Wegränder erfolgte in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Im Rahmen einer AB-Maßnahme (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach 1990) wurden die Sträucher gekauft, gepflanzt und gepflegt.
Zu jeder Jahreszeit grünt, blüht und reift es an den Wegesrändern im Randowtal.
Die Plattenwege werden nun nach mehr als 30 Jahren auch schon altersschwach. Wie viele Tonnen Gras werden wohl darüber transportiert worden sein? Die Transporttechnik kann immer mehr und mehr Tonnen transportieren, und durch den weichen Wiesenboden werden die Platten verschoben. Einige Wege wurden schon wieder zurückgebaut. Auf dem festgefahrenen Wiesenboden kann man sanfter radeln als auf den Plattenwegen.

Plattenweg nach Blumberg, Stauwehr an der Randow, volle Randow

Mit dem Wehr an der Brücke kann das Wasser in trockenen Zeiten angestaut werden, aber nach den Niederschlägen der letzen Wochen wurden alle Wehre so niedrig gestellt, dass das Wasser ungehindert ablaufen kann.
Ein Stück der Randow wurde schon einseitig gemäht, teilweise ist die Randow von Schilf zugewachsen und nicht mehr als Graben erkennbar.
Der Biber hat keine neuen sichtbaren Schäden an den Ebereschen hinterlassen, an den noch verbliebenen Ebereschenbäumen reifen die Beeren heran.

Die Kühe und ihr Nachwuchs fühlen sich wohl auf den saftigen Wiesen. Der „Cowboy“ sorgt für frisches Wasser und zusätzliche Mineralstoffe.

Rinderherde, Getränkewagen, die Tränke wurde gefüllt

Ganz anders sah das noch vor über 100 Jahren aus, als Paul Schreyer 1893 das Gut Wendemark pachtete. In seinem Bericht in der Wendemarker Chronik kann man lesen:

„Die vorhandenen Koppeln südöstlich des Hofes waren ein Bülten- und Distelmeer. Die Bülten wurden mit großen Hacken abgeschlagen, zerkleinert  und schlecht und recht als Einstreu für die Kühe verwendet. Häckselstroh musste ich kaufen. Heu war noch leidlich von den nicht entwässerten Randowwiesen, die mit Seggegräsern bestanden waren, vorhanden. Die Kühe erhielten das Grundfutter von diesem Heu und dazu 3 Pfd. Kraftfutter und Runkeln, soweit der Vorrat reichte. Nachdem so 3 – 4  Mon. gefüttert war, erlebte ich einen schweren Schlag. Eines Morgens konnten 70 Kühe nicht aufstehen. Es wurde festgestellt, dass sämtliche Tiere an Knochenbrüchigkeit in Folge des kalkarmen Heues erkrankt waren. Es war bei dem besonders schweren Anfang ein harter Schlag 10 Kühe zu verlieren, zumal ich für teures Geld holsteinisches Vieh importiert hatte. Als Gegenmittel wurden pro Kopf 10 Pfd. Sesamkuchen und Rapskuchen des hohen Kalkgehaltes wegen längere Zeit gegeben. Mein Missgeschick hatte sich in der Umgegend schnell herumgesprochen und die Pächter der Randowwiesen waren ganz erstaunt zu erfahren, dass in der Kalkarmut des Heues die Ursachen ihrer alljährlichen Viehverluste lagen. Es blieb mir weiter nichts übrig, als in der Fruchtfolge des Höhenackers einen Kleeschlag anzulegen, um wenigstens gesundes Viehfutter zu haben. Somit entstand im Verhältnis vom Höhenacker zum Grünland eine derartige Ungleichheit, wie sie nicht größer gedacht werden kann. Das musste unbedingt zum Bankrott führen, wenn die großen Wiesenflächen nicht melioriert würden. Für Getreide und Hackfrüchte standen nur 1246 Morgen abzüglich 130 Morgen Klee = 1116 Morgen zur Verfügung, dagegen an Grünland 289 Morgen Wiese und 130 Morgen Koppeln. Unzweifelhaft ist hauptsächlich auf die wenig taugliche Grünlandfläche und die Ungleichheit zum Höhenacker der Untergang meiner Vorgänger zurückzuführen. Als ich die erste Ernte 1894/95 eingebracht hatte, kam ein vortragender Geheimrat aus dem Ministerium nach Wendemark und besichtigte Viehbestand und Ernte. Er sah mich ganz erschrocken an und sagte: „Ist das Ihre ganze Ernte?  Gott erhalte Ihnen den Mut, ich beneide Sie darum“ Meine ganze Ernte bestand aus 604 Fuhren Getreide. Die Wegeverhältnisse spotteten jeder Beschreibung. Es gab Zeiten, wo der direkte Weg zum Bahnhof unpassierbar war. Es musste mit großem Vorspann der steile Weg vom Hof zur Chaussee genutzt werden, um auf dem Bahnhof Güter zu verladen. Ebenso sah der Weg bis zur Zichower Grenze aus. Das Dungfahren und andere Arbeiten mussten dann trotz aller Dringlichkeit unterbleiben. Die Arbeiterwohnungen waren in schlechter baulicher Verfassung und bestanden mit Ausnahme eines Hauses aus Fachwerk. Scheunenraum für Getreide und Heu waren für den kommenden Betrieb nicht genügend vorhanden. In diesem Zustand übernahm ich Wendemark und noch dazu in der traurigen Caprivizeit, in der für 1 t Roggen nicht mehr als 95 – 105 Mark gezahlt wurden… “

Seit dieser Zeit hat sich in Wendemark viel verändert. Dazu fällt mir bestimmt bei einer meiner nächsten Radtouren etwas ein. Vollkommen ausgepowert, mit dem Gefühl wieder etwas für meine Gesundheit getan zu haben, gelangte ich wieder zu Hause an.

Hat sich auch für Sie als Leser oder Leserin die Mitfahrt gelohnt? Zum Schluss noch ein paar Weitblicke aus den Randowtal:

ein Teilabschnitt der Randow, Blick in Richtung Schmölln, Blick auf den Windpark Briest aus dem Randowtal