2017 – Wind gegen Rad – ein Kampf

Windpark Briest – 03.01.2017 Windradflügel abgeknickt

von Bärbel Würfel

Ganz leise und sacht fiel etwas Schnee über Nacht. Bei den Plusgraden war er im Laufe des Tages wieder verschwunden. In den frühen Morgenstunden des 03.01.2017, zwischen 5:00 und 6:00 Uhr hörte ich, als ich an meinem Computer saß und Geschichten für die Ortschronik aufarbeitete, draußen laute Geräusche, Klappern und Scheppern und laute dumpfe Schläge. Weil es ja etwas geschneit hatte vermutete ich, dass der Winterdienst schon seine Arbeit vorbildlich verrichtete. Aber so laut, das war mir unerklärlich. Da es immer weiter schepperte, zweifelte ich an meiner Winterdiensttheorie. Beim  Blick aus der Haustür konnte ich nichts erkennen. Es war ja noch finster und in diesem Moment auch ruhig. War meine Fantasie mit mir durchgegangen? Klingt so Tinnitus … ?

Abgeknicktes Rotorblatt

Als gegen 8:00 Uhr der Morgen graute, warf ich wie jeden Morgen einen Blick auf „mein“ Windrad. Das ist die Windkraftanlage WK Nr. 6. Sie wurde am Rostoskiweg in der Wendemarker Gemarkung errichtet und ist aus den Fenstern an der Nordseite meines Hauses gut sichtbar. Ich kontrolliere immer woher der Wind weht, traute in diesem Moment aber meinen Augen nicht. Hoch in die Luft ragten nur noch zwei Flügel, der dritte Flügel, oder fachmännisch ausgedrückt, das Rotorblatt, hing nach unten. Es war einfach am Ende des Schaftes am Rotorkopf abgeknickt. Es hatte schlapp gemacht!


Zur Geschichte des Windparks Briest

Im Windpark Briest, der 2003 gebaut wurde, stehen 5 Windräder mit einer Nabenhöhe von 100 m und einem Rotordurchmesser von 77 m. Ein Windrad, erbaut erst 2007, ist nur an die 70 m hoch und besitzt auch kleinere Rotorblätter. Der gesamte Windpark mit 6 Windkraftanlagen wurde am 18.06.2011 mit einem Windparkfest eingeweiht.

Blick zurück, der Bau der Windenergieanlage WEA Nr. 6 im Jahr 2003

Bild aus besseren Tagen: Windparkfest 2011


Nach diesem Schock gab es für mich kein Halten mehr. Mit dem Auto fuhr ich über die B 166 zum Windrad. Ein Mitarbeiter von der Servicefirma war schon vor Ort und ich war auch nicht die erste Neugierige. Nachdem ich ein paar Fotos geschossen hatte, informierte ich dann einen Mitarbeiter der Firma Energiekontor per E-Mail über den Vorfall. Auch den rbb hatte ich unterrichtet. Eine Redakteurin vom rbb, rief später bei mir an, um Informationen zu erfragen. Sie hat dann einen Bericht für Brandenburg aktuell zusammengestellt. Polizei und Feuerwehr haben am Nachmittag die B 166 gesperrt, um zu verhindern, dass herabfallende Flügelteile vorbeifahrende Autos gefährden. Für die kommende Nacht wurde eine Sturmwarnung für Brandenburg herausgegeben. Sturmtief Axel überquert unser Gebiet, Windstärken mit 70 – 90 km h sind möglich. Ich war gespannt, was am nächsten Tag von dem Rotorblatt noch übrig geblieben ist.

Windradflügelbruch

Am 04.01.17 war es morgens noch halbwegs in einem Stück. Es zogen immer wieder Schauerstaffeln mit Sturmböen über uns hinweg; dann wehte das Rotorblatt wie eine Fahne im Wind. Zum Glück war Westwind, so würden die Teile nicht auf die B 166 fallen. Auf dem angrenzenden Feld war kein Personenschaden zu befürchten. Die B 166 soll mindesten zwei Tage zwischen Zichow und Passow gesperrt bleiben. Das bedeutete eine extreme Verkehrsbelastung für Passow und die umliegenden Orte Briest, Golm, Fredersdorf und Zichow. Die empfohlene Umleitungsstrecke über Greiffenberg wurde nur bedingt genutzt.

Im Laufe des Tages strahlte zwischen den Schauern die Sonne vom Himmel. Vom Rotorblatt wurden immer mehr Teile aufs Feld geweht. Der rbb kam an diesem Tag erneut nach Wendemark und drehte einen kleinen Film für die Nachrichten bei Brandenburg aktuell. Wie der rbb weiterhin berichtete, häuften sich in letzter Zeit Unfälle von Windrädern. Gestern am 03.01.2017 ist bei Hamburg ein Windrad komplett umgebrochen und Mitte Dezember in Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls. Die Bilder davon waren ja noch verheerender. Da hatte die Firma Energiekontor hier bei uns in der Uckermark noch Glück im Unglück.

Windradflügelbruch mit Regebogen

Bei meinem „Kontrollgang“ am 05.01.2017 vormittags waren schon Monteure angereist, aber ohne  große Technik. Das wunderte mich. Ich nahm an, dass nur ein riesiger Kran bei diesem Dilemma helfen konnte. Gegen Mittag erhielt ich einen Anruf von einem Mitarbeiter des rbb. Der wollte wissen, ob sich am Windrad etwas tut, denn der rbb hatte von der Herstellerfirma des Windrades die Information bekommen, dass heute der Rest des Flügelteils kontrolliert abfallen soll. Als ich nach dem Anruf mit dem Fernglas einen Blick auf das Windrad warf, sah ich, dass ein Monteur oben an den Flügeln aus einer Luke rausschaute. Nun aber schnell, winterfest angezogen, Kamera startklar gemacht, und wieder rauf auf den Berg zum Windrad. Ein Kamerateam vom rbb war auch schon vor Ort.

Spuren im Schnee, Schneewolken

Später sah ich, dass ein Monteur in den Schaft des Rotorblattes geklettert war. Die Geräusche ließen vermuten, dass die letzten Teile abgesägt wurden. Das hängende Rotorblatt drehte und wendete sich im Wind. Er hing nur noch an einem „seidenen Faden“, weigerte sich aber hartnäckig, herunterzufallen. Mir wurde es nach einer Stunde langsam zu ungemütlich auf dem Berg, ein kalter, scharfer Wind wehte über die Schneedecke und eine Schauerfront drohte in der Ferne. Beim Filmen mit meinem Smartphone zitterten mir die Hände und ein gutes Video kam sicherlich dabei nicht zustande. Das wollte ich mir nicht länger antun, denn ich möchte ja noch ein paar Jahre die Rente genießen und nicht an den Folgen einer eventuellen Unterkühlung vorzeitig sterben. In meinem Nachruf soll ja nicht mal stehen: „Sie wollte gerne Hundert werden auf Wendemarker Erden, doch Gevatter Tod, der kam zu fix, drum wurde daraus nichts.“

Der Monteur auf dem Windrad

Auf meinem Rückweg warf ich immer wieder mal einen Blick aufs Windrad und dann, als ich noch mal versuchte ein Video zu drehen, fiel das letzte Teil runter. Ein lauter Aufprall verkündete das Ende der aufregenden Aktion. Heute am 05.01.17 um 13:49 Uhr war das letzte Teil des Flügels von der WKA Nr. 6 abgefallen. Mein Video war leider sehr verwackelt. Karl-Heinz Schönfeld hat auch ein Video gedreht und den freien Fall des Flügelteils aufgenommen. Das ist sehr gut geworden. Er stand auf dem Rostoskiweg in der Nähe des Windrades. Der rbb hat einen Ausschnitt aus diesem Video in den Nachrichten am 05.01.17 um 17:00 und 19:30 Uhr gesendet. Nun werde ich „mein“ Windrad weiter im Auge behalten und den Reparaturablauf für die Chronik festhalten.

Windradflügel Absturz (Videoausschnitte zur Verfügung gestellt von Herrn Schönfeld)

Am 10.01.17 war Bilderbuchwinterwetter; das nutzte ich für einen Windradbesuch. Alle abgefallenen Flügelteile waren schon in einen Container geladen worden. Ein paar kleine  Reststücke klärten mich über das verwendete Material auf. Nun kann ich mir auch erklären, warum die Reste des Flügels bei dem Sturm am 04.01.17 wie eine Fahne im Wind wehten. Nachdem das Innenleben aus dem Flügel entfernt war, bestand der Rest ja nur noch aus Glasfasergewebe und etwas Plastik. Ich bin nach wie vor erstaunt, warum das so schwierig war, den letzten Teil des Flügels  abzutrennen. Am Windrad Nr. 1, in Richtung  Zichow, in der Nähe zur Großen Hölle, beginnt man mit der Erweiterung des Windfeldes Briest. Die Firma Energiekontor errichtet dort zwei neue Windkraftanlagen. Zurzeit wird der Mutterboden abgetragen und ein neuer Zufahrtsweg geschaffen.

Der gestutzte Flügel

Am 17.01.17 haben Industriekletterer die zwei verbliebenen Flügel an der WKA Nr. 6 begutachtet. Das ist eine Arbeit in luftiger Höhe, gesichert nur mit Seilen. Dafür ist mit Sicherheit nicht jeder Mensch geeignet. Heute war es windstill und die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Jedoch in 100 m Nabenhöhe weht bestimmt ein anderer Wind und die frostigen Temperaturen – morgens um 5:00 Uhr hatten wir -10°C; mittags zeigte das Thermometer immer noch -1°C – machten die Arbeit auf gar keinen Fall angenehmer. Der Rotordurchmesser beträgt 77 m. Das Ergebnis der Untersuchungen wird den weiteren Reparaturverlauf bestimmen. Vielleicht muss nur der abgebrochene Flügel ersetzt werden. Ich werde das im Auge behalten.

Die Besteigung des Riesen: Flügelkontrolle durch Industriekletterer

Im Internet fand ich eine Antwort auf die brennende Frage, wie entsorgt man einen Windkraftflügel? Zum weiterlesen hier klicken (Zeitschrift GEO)

Ursachenforschung

“Die Ursache für den abgeknickten Windrad-Flügel unweit des uckermärkischen Zichow scheint gefunden. Wie Spiegel-Online berichtet, soll eine veraltete sogenannte Pitch-Regelung Ursache dafür sein, dass das 40 Meter lange Windrad im Januar kollabierte.” (Quelle: Spiegel)

“Bei dem Vorfall waren Teile der Anlage auf das darunter liegende Feld gestürzt, die nahe Bundesstraße B166 wurde einen halben Tag lang gesperrt. Die Pitch-Regelung sorgt dafür, dass die Rotorblätter automatisch aus dem Wind gedreht werden, wenn dieser zu stark weht. Bei älteren Windrädern sei noch ein hydraulisches und kein elektronisches System in Betrieb, das mehr Wartung erfordere. Die Betreiber-Firma “Energiekontor”, die das im Jahr 2003 errichtet Windrad betreibt, bestätigte auf rbb-Anfrage, dass ein Sensordefekt in der Pitchregelung vermutet wird. Die Untersuchungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen.” (Quelle: rbb-online.de)

Anfang März 2017 gehen die Arbeiten am Windrad Nr. 6 weiter. Am 13.03. werden Kranteile angeliefert. Auf dem Rapsfeld werden Spurplatten aus ca. 15 mm starken Eisenplatten verlegt.

Verlegung der Spurplatten

Tags darauf, am 14.03., arbeiten Monteure am Windrad und kontrollieren in luftiger Höhe auf dem Getriebehaus die Technik.

Monteur in luftiger Höhe

15.03.: Drei neue Rotorblätter wurden in der Nacht angeliefert, der große Kran wird von den Monteuren zusammengebaut.

Die neuen kommen: Anlieferung der Rotorblätter

17.03.2017 ein Rotorblatt war vom Tieflader abgeladen worden, ich zählte 54 Schrauben, die dann später am Rotorkopf  vom alten Blatt  abgeschraubt werden müssen und beim neuen Rotorblatt wieder angeschraubt werden müssen. Das ist eine große Leistung des Kranführers und der Monteure. Die Monteure berichteten mir auch, dass die Montage der neuen Rotorblätter erst erfolgen kann, wenn sich das Wetter bessert.

Rotorblätter

In der Woche vom 20. – 25.03 2017 wurden die neuen Rotorblätter angebaut. Leider war ich in dieser Woche nicht in Wendemark. Doch Familie Traichel stellte mir Fotos zur Verfügung. Ein Foto, vom 24.03.17, wurde um 8:55 Uhr aufgenommen: Es zeigt, dass ein Rotorblatt, erkennbar an den roten Spitzen, schon gewechselt war. Das zweite Rotorblatt wird mit Hilfe von zwei Kranen hochgehoben und oben am Rotorkopf angeschraubt. Um 9:10 Uhr war der größte Teil der Arbeit wohl geschafft. Sicher wurde das dritte Rotorblatt an diesem Tag auch noch gewechselt. Als ich am 26.03.17 wieder meine Kontrollfahrt machte, waren die zwei alten Rotorblätter schon wieder auf die Tieflader aufgeladen. Die wurden dann in der Nacht abtransportiert. Der abgebrochene Rotorteil lag noch am Boden.

WEA Nr. 6 Anbau der neuen Rotorblätter (Fotos zur Verfügung gestellt von Herrn Traichel)

WEA Nr. 6 Reste vom Rotorblatt und Abtransport der alten zwei Rotorblätter

Die WKA Nr. 6 produziert seit Anfang April 2017 wieder Strom.

Alle Wetter. Fotos vom geheilten Windpark