2019 – Unter Dampf nach Szczecin

Dampfloksonderzug mit der Dampflokomotive 03-2155-4* am 15.03.2019 zum 175-jährigen Jubiläum der Eisenbahnstrecke Berlin – Stettin

von Bärbel Würfel

Ein Dampfloksonderzug fährt zum 175. Jubiläum der Eisenbahn Berlin-Stettin. Die Eröffnungsfahrt für diese Stecke fand am 15.08.1843 statt. Einen Sonderzug, am 15.08.2018 einzusetzen, gelang dem Gartzer Amtsdirektor Gotzmann leider nicht. Nun aber, 7 Monate später war die Organisation gelungen: 11 Waggons mit ca. 500 Fahrgästen musste die Dampflok 03-2155-4* ziehen. Für die Bereitstellung von Fahrkarten musste man sich bewerben.

Dampflok

Die Sonderfahrt wurde in vier Streckenabschnitte eingeteilt, um möglichst vielen Fahrgästen ein besonderes Eisenbahnflair zu ermöglichen.

• Sonderfahrt 1
Berlin-Lichtenberg – Angermünde als D 310
• Sonderfahrt 2
Angermünde – Tantow – Stettin Hbf. als D 328
• Sonderfahrt 3
Stettin Hbf. – Tantow – Casekow – Passow – Angermünde als E 160
• Sonderfahrt 4
Angermünde – Eberswalde – Biesenthal – Bernau – Berlin-Lichtenberg als E 175

Ich hatte 4 Fahrkarten für den Streckenabschnitt Angermünde –Stettin mit diesem Schreiben beantragt:

Meine Bestellung von 4 Fahrkarten für die Sonderfahrt mit dem Dampflokzug zum 175. Jubiläum der Berlin-Stettiner Eisenbahn

 Frei nach dem Lied „Auf der schwäbschen Eisenbahne“

1.
Ein Dampflokzug soll fahren, wie vor 175 Jahren,
von Berlin bis nach Stettin, wird er seine Wagen zieh‘n.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
von Berlin bis nach Stettin, wird er seine Wagen zieh‘n.

2.
Oma Würfel möchte gerne fahren in die weite Ferne,
fragt beim Amtsdirektor an, ob sie Karten haben kann.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
fragt beim Amtsdirektor an, ob sie Karten haben kann.

3.
Und sie fährt nicht gern allein, sie hat auch noch Enkel kleine,
Gustav, Edgar, zwei und vier möchten gerne mit mit ihr.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
Gustav, Edgar, zwei und vier möchten gerne mit mit ihr.

4.
Und der Papa und die Mama, hören Sie schon das Gejammer,
denn auch diese lieben zwei, wären gerne mit dabei.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
denn auch diese lieben zwei, wären gerne mit dabei.

5.
Und für Opa wär‘s ein Schatz, wär da noch ein vierter Platz,
denn die Enkel sind nicht groß, passen bei uns auf den Schoß.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
denn die Enkel sind nicht groß, passen bei uns auf den Schoß.

6.
Und wir sagen Danke schön, wenn wir uns im Zug dann sehen,
danken für die gute Fahrt, hoffen auf ‚nen neuen Start.
Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala,
danken für die gute Fahrt, hoffen auf ‚nen neuen Start.

Ich bekam die Zusage für 4 Fahrkarten. Diese mussten wir persönlich in Gartz abholen, uns in eine Liste eintragen, mit Angabe von Alter, Geschlecht, Anschrift und Unterschrift. Diese genauen Angaben waren erforderlich für die Abrechnung der EU-Fördermittel. In Angermünde kam der Zug schon verspätet an. Ein Fahrgast sagte: „Welcher Sonderzug fährt schon wirklich pünktlich nach Fahrplan.“ Ein anderer Fahrgast meinte: „Wenn man öfter mit dem Zug fährt, hat man den Eindruck, dass bei der Bahn im 21. Jahrhundert fast alle Züge Sonderzüge sind.“

Das laute Signal der Lokpfeife und der Geruch des Dampfes weckte bei mir Erinnerungen an die Zeit, als ich noch von 1963 – 1965 täglich mit dem Zug, gezogen von einer Dampflok, nach Angermünde zur Schule gefahren bin. Das war das für die damaligen Fahrgäste nichts Besonderes. Es gab ja von hier keine andere Möglichkeit, um in die Kreisstadt zu kommen. Eine Busverbindung gab es damals noch nicht.

Zur damaligen Zeit nahm die Lok immer am Bahnhof Passow am Wasserkran Wasser. Heute, am 15.03.2019, musste die Lok hier in Angermünde erst einmal abgekuppelt werden. Sie fuhr zur Wasseraufnahme. Dafür standen Tanklöschfahrzeuge der Feuerwehr zur Verfügung. Wasserkrane gibt es längst nicht mehr.

Bahnhof Angermünde  warten auf den Dampflok-Sonderzug

Aus vielen Gesprächen in unserem Abteil, wir hatten Platzkarten im Wagen 4, hörte man heraus, dass außer uns fast alle in ihrem Arbeitsleben mit der Eisenbahn zu tun hatten oder aus Eisenbahnerfamilien stammten. Der überwiegende Teil der Reisenden waren Rentner und Kitakinder, denn es war ja Freitag – ein Arbeitstag.
Aus Wendemark fuhren 3 Personen mit: Herr Achsel, Herr Schönfeld und ich. Ich hatte auch noch meine beiden Enkelkinder Gustav, fast 5 Jahre und Edgar 3 Jahre alt und meinen Sohn eingeladen, sie waren extra aus ihrer Heimat bei Potsdam angereist.
Für die beiden Kleinen war das ein besonderes Erlebnis, über das sie später mal ihren Kindern und Enkelkindern berichten können; hoffentlich bleibt das Ereignis in ihrer Erinnerung haften. Ob es dann noch die Möglichkeit gibt, mit einem Dampflokzug zu fahren, bezweifle ich. 2026 soll die Strecke von Angermünde bis Stettin durchgehend elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut sein. Zum gegenwärtigen Stand ist die Strecke ab Passow bis Stettin eingleisig und auch nicht elektrifiziert.

Die heutige Dampflok 03-2155-4 wurde im Jahr 1936 gebaut. Die gesamte Fahrt wurde von der EU gefördert und war für alle Mitreisenden kostenlos. Aber ein Mitglied des Lausitzter Dampflok Clubs e.V. ging mit einer Ölkanne durch den Zug und sammelte Spenden, denn nur wer gut schmiert, der gut fährt. Es klapperte nicht nur in der Ölkanne, sondern es raschelte auch. Dieses Rascheln wird dem Eisenbahnfreund ein Wohlklang im Ohr gewesen sein. Ob es sich wohl gelohnt hat und genügend Schmieröl gekauft werden kann? Die Weiterfahrt nach Stettin klappte mit kleineren Verspätungen reibungslos.
 
Wir wunderten und fragten uns, ob die Sitzplätze früher auch schon so eng waren. Denn für uns vier Erwachsene war der Platz ganz schön knapp bemessen. Aus Rücksicht auf die Begrenztheit der Sitzplätze – ich hatte ja nur für vier Personen Fahrkarten bestellt – nahmen wir die beiden Enkelkinder auf den Schoß. Aber dann fiel uns ein, dass wir vor vielen Jahren, als wir noch regelmäßig mit der Bahn fuhren, auch noch einen schmaleren Körperbau hatten. Mit den Jahren kam es ja zu einer erheblichen Körperverformung in allen Richtungen. So ändern sich die Zeiten.

An der gesamten Strecke entdeckte man, nicht nur auf den Bahnhöfen, viele Menschen, die dieses seltene Ereignis unbedingt auf Foto oder Video festhalten wollten. In Szczecin (Stettin) fuhr die Bahn noch weiter bis Police (Pölitz). Einige Fahrgäste nutzten diese Gelegenheit. Dort spendierte die polnische Feuerwehr nochmals Wasser für die Lok. Der Bahnhof dort ist auch in einem beklagenswerten Zustand. In Deutschland wäre ein Halt auf so einem Gelände wohl nicht möglich gewesen, so die Meinung eines ehemaligen Eisenbahners.

Bahnhof Tantow

Hauptbahnhof Szczecin (Stettin)

Bahnhof Police (Pölitz)


Die Rückfahrt startete mit einer größeren Verspätung in Stettin. In Tantow hielten wir dann aber wieder fahrplanmäßig gegen 15:10 Uhr. Als viele Fahrgäste und die größeren Kindergruppen aus Tantow und Umgebung ausgestiegen waren, erklang die Durchsage, dass die Lok einen Reglerschaden hat und auch nicht Vorort repariert werden kann. Bis eine Ersatzlok den Zug abschleppen kann, würde es mehrere Stunden dauern. Es würde aber in kürzester Zeit, 15:36 Uhr, die Möglichkeit bestehen, mit dem Regionalzug RB 66 der von Stettin bis Angermünde fährt, einzusteigen. Auch wurde betont, dass nicht alle Reisenden des Sonderzuges in der Regionalbahn Platz finden werden.

Nun begann der große Aufbruch. Nach einem kleinen Fußmarsch, auf der Straße, entlang am Bahnsteig, über den Bahnübergang zum gegenüber liegenden Bahnsteig. Hier warteten nun unzählige Reisende auf die Ankunft des RB 66 aus Stettin. Wenige Reisende blieben im Dampflokzug. Hunger und Durst mussten sie ja nicht erleiden, denn im Speisewagen gab es gute Verpflegung. Trocken saßen sie auch, aber ob es auch warm blieb weiß ich nicht.

Es hatte begonnen zu regnen. Das Gedrängel der Reisenden beim Einstieg hielt sich jedoch in Grenzen und alles lief relativ gesittet und entspannt ab.
So viele Fahrgäste hatte der Zug auf dieser Strecke wohl noch nicht auf einmal befördert. Doch alle Reisenden, die mit dem Zug mit wollten, fanden irgendwie einen Stehplatz mit engem Körperkontakt zum Nachbarn. Geduldige Schafe passen bekanntlich viele in einen Stall.

Mit der relativen Gewissheit, dass der RB 66 bestimmt ohne Schaden bis Angermünde fahren würde, waren alle Fahrgäste entspannt und es herrschte eine recht lockere Stimmung. Wie viele Schaulustige sich an der Strecke versammelt hatten und im Regen ausharrten, um den Dampfloksonderzug zu sehen und ein Foto zu erhaschen, lässt sich nicht ermitteln. Auf dem Bahnhof Passow waren es auch sehr viele. Jemand meinte, dass es wohl an 50 Fahrzeuge waren und auch die Feuerwehr war mit ihren Fahrzeugen da. Ich kann die Enttäuschung der Wartenden gut verstehen. Einige von den Wartenden nachten sich mit dem Auto auf den Weg nach Tantow, um dort noch ein Foto zu „schießen“.

Wie wird das wohl am 15.08.1843 gewesen sein? Wie viele Leute werden die erste Fahrt hier in Passow bestaunt haben? Mir liegt ein Bericht dieser Eröffnungsfahrt von Dr. L. Weyl: „Eröffnung der Berlin-Stettiner Eisenbahn“ veröffentlicht in der Zeitung „Die Stafette“ 5. JG.1843 Nr. 100 vom 24.08.1843 vor. Diesen Bericht habe ich im 3. Wendemarker Heimatheft veröffentlicht.

Mitreisende, die erst den RB 66 um 17:42 Uhr nutzen berichteten mir, dass es im Dampflokzug noch sehr unterhaltsam, gemütlich und genüsslich wurde. Eine Mitreisend aus Angermünde schrieb mir dazu: “Wir sind erst mit dem nächsten Triebwagen 17:27 Uhr nach Hause gefahren. Sogar in der 1. Klasse mit einigen Angermünder Eisenbahnern. Es war noch sehr lustig. Im Speisewagen wurde die große Torte, welche die Amtsleiterin vom Amt Gartz spendiert hat von den Herren vom Eisenbahnverein aufgeschnitten und unter den noch vorhandenen Fahrgästen verteilt. Wir haben uns dann noch Kaffee dazu gekauft. Sekt oder Fanta gab es für jeden, der wollte. Obgleich die Torte alle geworden ist, war es sehr schade, dass Ihr alle so schnell gleich weggelaufen seid und mit dem früheren Zug gefahren seid. Wir haben uns noch sehr schön mit allen dort unterhalten. Es war für uns ein einmaliges Erlebnis.”

Jubiläumstorte

Um 19:36 Uhr erhielt ich von den Bewohner des Hauses, Am Bahnhof 6 in Passow, die Mitteilung, dass der Dampflokzug in Tantow gestartet ist. Um 19:52 Uhr kam die Meldung, dass der Zug eben flott an ihrem Haus am Bahnhof Passow, gezogen von einer Diesellok, vorbeigerauscht ist.

Den kleinen Schaden haben, so denke ich, alle Fahrgäste der „alten Dame verziehen“. Nur für die Freunde des Lausitzer Dampflok Clubs e.V. wird das wieder ein teurer Spaß werden. Meine Anfrage, bezüglich des Schadens an der Lok bei dem Lausitzer Dampflok Club e.V., wurde so beantwortet:

Sehr geehrte Frau Würfel,

schön, dass Sie sich im Rahmen der Chronik für die Nachbereitung interessieren. Wir können Ihnen versichern, dass es weder am Personal noch an den Vorräten der Lok lag. Die Lok ist mit vollem Wasservorrat von 34 m³ in Sczcezin losgefahren. Es ist ein technischer Defekt die Ursache. Die Betätigung für Dampfregler, der die Dampfzufuhr zu den Zylindern regelt, ist in geöffnetem Zustand des Reglers schadhaft geworden. Sie können sich das so vorstellen: Bei Ihrem Auto reißt bei Vollgas der Bowdenzug des Gaspedals und der Motor hat nur noch Vollgas und Einkuppeln ist nur noch mit schleifender Kupplung möglich. Das ist aber bei einer Lok mit 1800 PS nicht so einfach möglich.  Zur Historie der Lok bitten wir Sie im Internet zu googlen. Es gibt viele Seiten. Den Zug zum 150. Streckenjubiläum haben auch wir gefahren. 1993 mit unserer Dampflok 03 2204-0.

Mit freundlichen Grüßen

 Andreas Hubatsch, Stellv. Vorsitzender

Nach Angaben von Herrn Lothar Schüler aus Kummerow fuhr der letzte Dampflokgüterzug am 14.10.1987 nach Tantow. Der letzte Personenzug, gezogen von einer Dampflok fuhr Ende der 60er Jahre mit der Lokbaureihe 38, danach zogen Dieselloks die Personenwagen, der Baureihe 110. Bei Güterzügen war zum Schluss die Baureihe 52.8 im Einsatz. Die letzten waren 52 8181 und 52 8053, abgelöst durch die Baureihe 120, die den Spitznahmen Trommel trug.

Mit Beginn des Winterfahrplanes 1968/69 wurde der Dampflokpersonenzug eingestellt. Am 20.12.1987 war die Eröffnung des elektrischen Zugbetriebs PCK Bahnhof Stendell – Angermünde mit der Lok 143 111 mit Lokführer Luniak. Die Lok war vom BW Neustrelitz.

Dampfloks am Bahnhof Passow