Omama und ihr „Flotter Otto“
von Bärbel Würfel
Der Flotte Otto und seine Reiterin
Ab Mitte September bin ich nun mit einem Elektrofahrrad unterwegs. Mein alter Drahtesel Otto und ich sind in die Jahre gekommen, Otto ist 25 Jahre alt und bekommt nun das Gnadenbrot. Er wird nur noch für Kurzstrecken eingesetzt. Es war schon immer mein Wunsch, ab 70 Jahre mit dem Fortschritt zu gehen und etwas flotter und kraftsparend unterwegs zu sein. Meine Familie erfüllte mir schon sechs Monate vor meinem 70. den Wunsch, das war eine große Überraschung und Freude. Sie meinten, dass ich nun schon tüchtig üben kann, um am 70. Geburtstag fit wie ein Turnschuh zu sein. Ich taufte meinen neuen Drahtesel „Flotter Otto“.
Meine bisherigen Touren mit Otto waren, seit dem ich ab dem 20.12.2015 den Bikecomputer auf meinem Smartphone benutze, immer so um die 10 km lang. Insgesamt zeigt der Bikecomputer heute am 08.11.2018 einen Kilometerstand von 2.360 km an. Davon bin ich ab dem 13.09.18 187 km mit meinem Flotten Otto unterwegs gewesen. Das sind keine Weltrekord verdächtigen Zahlen, aber immerhin besser als nur wie ein Stubenhocker aus dem Fenster oder in die „Röhre“ zu schauen.
Am 11.10.2018 startete ich zu einer kleinen Rundreise. Die Startvorbereitungen dauern nun etwas länger als bei seinem Vorgänger Otto. Otto musste ja nicht aus der verschlossenen Garage geholt werden, er stand frei zugänglich im Schuppen. Otto musste nicht mit einem Funkschlüssel gestartet werden, oder kontrolliert werden, ob er noch genügend „Saft“ hat, Otto war genügsam. Ihm genügte es, wenn ich kräftig in die Pedale trat und sagte: „So mein Kleiner, nun zeige ich dir wieder meine Heimat, gib dein Bestes und lass mich nicht im Stich.“ Das hat er auch nie gemacht. Anschließen brauchte ich ihn auch nie, den alten Esel will keiner mehr haben.
Jedoch auf meinen „Flotten Otto“ würden potentielle Diebe bestimmt ein Auge werfen und ihn auch entführen, wenn er ungesichert abgestellt wird.
Nun ging es los, meinen flotten Otto lenkte ich nach Briest, Golm, Fredersdorf, Zichow und zurück nach Wendemark. Gegen 13:00 Uhr startete ich. Ein strahlend blauer Himmel, angenehme Temperaturen, die für diese Jahreszeit zu warm sind, und ein mäßiger Wind machten richtig Lust auf diese Tour. Der goldene Oktober beginnt das Laub der Bäume in unglaublich schöne Farben zu verwandeln. Die Lindenalle wird von Tag zu Tag gelber und auch etwas lichter.
Lindenallee, Bahnhof
Meine Fahrt führte mich weiter vorbei an meinem Elternhaus am Briester Weg. Der stetige Anstieg des Briester Weges machte mir keine Mühe, denn ich schaltete ja die unterstützende Elektrokraft ein. Es ging mühelos, mit einem Lächeln und ohne Hecheln den kleinen langgestreckten Berg hinauf. Der Blick in das weite Welsetal und auf die Briester Kirche erfreuen mein Herz immer wieder.
Briester Weg, meine Fahrstrecke
Meine Gedanken schweiften da wieder ab in das Jahr 1962/63, als ich diese Strecke wöchentlich zum Konfirmandenunterricht fahren musste. Hier existierte noch die 1898 gepflasterte Straße. Nur eine kleine, unbefestigte Spur neben der Straße diente als Radweg. Für die Schönheit der Natur hatte ich damals noch keine Augen. Diese Fahrten waren eher eine Last als eine Lust. Gesellschaft hatte ich auch nicht, denn die anderen Konfirmanden meines Jahrgangs wohnten im alten Dorfkern von Wendemark. Die nutzten den Feldweg von Wendemark nach Briest, den sogenannten Kirchweg auf Briester Territorium.
Der Feldweg auf Wendemarker Territorium bis zur B 166 wurde am 10.05.2003 in Otto-Rostoski-Weg umbenannt. Die Fahrt heute war also eine reine von mir gewollte Vergnügungsfahrt.
Die Ahornbäume am Dorfeingang Briest haben schon mit ihrem wunderschönen Farbenspiel begonnen. Der große Feldstein, der 2013 anlässlich der 725-Jahrfeier aufgestellt wurde, verkündet das Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung von Briest 1288.
Briest, Ortsdurchfahrt
Auszug aus der Angermünder Zeitung und Kreisblatt
Nr. 83 8. Mai 1898
Landrätliche Bekanntmachung der Polizei Verordnung
Der Weg von Bahnhof Passow nach Briest wird wegen Vornahme von Pflasterarbeiten bis auf weiteres gesperrt und der Verkehr auf den sogenannten Wendemark-Briester-Kirchweg
verwiesen.
Der Amtsvorsteher Schäper
Ang. d. 8. Mai 1898
Der Landrat v. Buch
Auszug aus der Tageszeitung „Neuer Tag“
Nr. 266 Mittwoch, 7. November 1973 22. Jahrgang
Rundblick
Passow: Auf der Ortsverbindung Passow-Briest, die bisher eine Pflasterdecke hatte, haben Kollegen des VEB Tiefbaukombinat Frankfurt (Oder) auf einer Ausbaufläche von 1,5 km einen bituminösen Ausgleich und eine Bindeschicht aufgebracht. Die Oberdecke wird bei geeignetem Wetter im Frühjahr 1974 fertiggestellt.
Nr. 191 Dienstag, 13. August 1974 23. Jahrgang
Straße Passow-Briest dem Verkehr übergeben
Aufbringen einer Verschleißschicht erfolgt 1975
Fahrzeiten der Buslinie verändert
Gemeinde Briest jetzt auch in den Linienverkehr einbegriffen
Nach eineinhalbjähriger Bauzeit wurden nun am 6. August 1974 die Straße Passow-Briest mit einer Baulänge von 2.700 Metern dem Verkehr übergeben. Die Baubetriebe, Meliorationsgenossenschaft „Untere Oder“ Schwedt und Verkehrs- und Tiefbaukombinat Frankfurt (Oder), haben diese Straße bis auf die noch aufzubringende Verschleißschicht
(diese Arbeiten werden 1975 ausgeführt) fertig gestellt. Die restlichen Erdarbeiten an den Nebenanlagen werden bis zum 30. September 1974 ausgeführt.
Damit sind die Voraussetzungen für die Anfahrt zur 2.000er Milchproduktionsanlage und zur verkehrsmäßigen Erschließung der Gemeinde Briest gegeben. Die verkehrseinschränkenden Maßnahmen auf der Verbindungsstrecke Zichow-Fredersdorf-Golm-Briest und Bahnhof Passow wurden aufgehoben, wobei die Ortslage Briest als derzeitige Baustelle nur mit 30 km/h befahrbar ist. Die Ortslage Briest wird in volkswirtschaftlicher Masseninitiative bis zum 25. Jahrestag erdbaumäßig hergerichtet und anschließend noch in diesem Jahr mit einer Schwarzdecke versehen. Mit Abschluss dieser Baumaßnahme wird ab 19. August 1974 die Buslinie E 57 Angermünde-Passow bis nach Briest im Interesse der Fahrgäste verlängert. Daraus ergeben sich aber in Abweichung zum jetzt bestehenden Busfahrplan des Kraftverkehrs folgende veränderte Fahrzeiten.
Die Busse fahren ab Angermünde
montags bis Freitag, 5:10, 10:30, 17:30 und samstags 16 Uhr
und ab Briest 5:55, 11:15, 18:15 und samstags 16:45 Uhr.
Damit wurde ein weiterer entscheidender Schritt bei der Lösung der anstehenden Verkehrsaufgaben in unserem Kreis Angermünde getan.
An der Straße nach Golm lagern schon wieder viele Erdgasrohre für die neue Erdgasleitung Eugal, die Europäische Gas-Anbindungsleitung, die parallel zur 2011 erbauten Erdgasleitung Opal gebaut werden soll.
Kirche Golm
In Golm erinnert ein Feldstein mit der Aufschrift „Golm anno 1354“ an das Alter der Gemeinde. Der Kirchturm wurde 2010 saniert. 2007 wurde das Dach der Kirche und der Giebel saniert. Die alte Dorfschule wurde zum Gemeindezentrum ausgebaut.
Heute machte ich mal einen Abstecher zum Weinberg, der war in der DDR-Zeit ein „Kulturelles Zentrum“ im 1972 gegründeten Gemeindeverband Passow. Jährlich fand hier das Weinbergfest statt. Die damals errichteten Gebäude für die Versorgung und die Bühne sind schon Ruinen. Nur ein Schießstand des Schützenvereins Golm existiert noch und wird auch noch genutzt.
Golm Weinberg
Der Bahndamm der am 13.12.1905 eingeweihten Kreisbahn Schönermark-Gramzow-Damme ist noch erkennbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Strecke als Reparationsleistung an die Sowjetunion demontiert. Zwischen 1946 und 1949 wurde die Strecke schrittweise wiedereröffnet. Dabei musste die zerstörte Brücke über die Welse bei Schönermark wieder gebaut werden. Diese Bahnlinie wurde 1979 zwischen Schönermark und Gramzow stillgelegt und die Gleise etwas später abgebaut.
Hier entdeckte ich ein Haus, dessen Giebelfläche mit einem sehr schönen Gedicht verziert wurde.
„Ohne Arbeit früh bis spät kann dir nichts geraten; der Neid sieht nur das Blumenbeet, aber nicht den Spaten“
An diesem großen Grundstück erkennt man genau, dass die Bewohner den Spaten selten ruhen lassen.
Am 04.11.18 schickte mir der Vorsitzende des Angermünder Heimatvereins ein Foto mit einem großen Feldstein. Er sucht dazu Informationen. Meine Nachfrage bei Golmer Einwohnern brachte keinen Erfolg. Welch ein Zufall, ich hatte am 11.10.18 fast an derselben Stelle ein Foto gemacht und siehe da, der große Stein liegt immer noch da, am Rande des alten Bahndamms. Ich vermute, dass dieser Stein im Zuge der Baumaßnahmen im Weg lag.
Fredersdorf
Auf geraden Weg nach Fredersdorf, dort hatte ich eine Verabredung. Nach einem kurzen Plausch und einer Stärkung mit Kaffee und Kuchen konnte ich wieder kräftig in die Pedalen treten.
In Fredersdorf wurden viele Fachwerkhäuser liebevoll saniert. Die Feldsteinkirche ist in einem guten Zustand und beherbergt einen wertvollen Altar.
Weiter geht die Fahrt auf der K 7313 nach Zichow, die B 166 führt durch den Ort. Das Vorlaubenhaus präsentiert sich in voller Schönheit und reicht bis an die Straße, es wurde auch sehr schön renoviert. Die ehemalige Konsumverkaufsstelle in Zichow wurde zu einem Seniorenwohnheim für betreutes Wohnen umgebaut. Das ehrwürdige Schloss steht immer noch ungenutzt da, ist aber Privatbesitz.
Heute lenkte ich meinen flotten Otto zum zweiten Mal auf Wege, die ich noch nie befahren habe. Ich benutze einen kleinen Weg, der zur Zichower Kirche führt, die steht etwas abseits der Straße auf einem kleinen Berg. Hier führte ein Feldweg weiter den Berg hinauf, den nutzte ich für meine Weiterfahrt, da ich ja schon an der Kirche auf halber Bergeshöhe war, und ich ja neue Wege erkunden wollte. Hier hatte ich einen schönen Blick auf die alte Windmühle, die 1898 abgebrannt war und dann neu aufgebaut wurde. Ein Verein kümmert sich um den Erhalt der Mühle.
Zichow
Auszug aus dem Angermünder Tageblatt:
Nr. 59 14. April 1898
Gramzow:
Am ersten Osterfeiertag abends brach in der bei dem Dorfe Zichow gelegene Windmühle Feuer aus. Die Selbe ist erst im Jahr 1892 neu erbaut worden, nachdem die frühere ebenfalls durch Feuer vernichtet worden war. Da die Mühle sehr hoch gelegen ist, war der Feuerschein weithin sichtbar und gewährte in der Tat einen schaurig schönen Anblick.
Mehrere Spritzen aus der Umgebung waren herbeigeeilt, doch war nichts zu retten. Über die Entstehungsursache des Brandes ist zur Stunde nichts bekannt.
Die Mühle war ein sogenannter Falltrog neuster Konstruktion und versichert.
Weitere Informationen fand ich bei Wikipedia:
Die Flügel der Mühle wurden bei einem Gewitter 1921 abgerissen.
Weiter führte mich dieser Weg vorbei an alten zur DDR-Zeit erbauten Stallanlagen, deren Dächer dem 21. Jahrhundert angepasst wurden. Es wurden darauf Solaranlagen gebaut. Diesem Trend folgt die AHV Passow bei fast all ihren Stallanlagen. Sie stellte einer Firma die Dächer für die Erzeugung von Solarenergie zur Verfügung. In diesem langen und sonnenscheinreichen Sommer haben die Betreiber bestimmt eine sehr gute „Sonnenscheinernte“ eingefahren. Im Gegensatz zu den Landwirten, die über sehr hohe Verluste bei der Ernte klagen.
Von hier oben kann man den Blick weit schweifen lassen, man sieht die bewaldeten Höhen von Schönow und Blumberg, die das Randowtal begrenzen. Unwissende ahnen hier aber noch nichts von dem schönen Randowtal, das zwischen den beiden Höhenzügen liegt und mitten drin, mein Wendemark.
Hier oben entdeckte ich auch Schlehenbüsche, die übervoll mit Früchten besetzt sind. Die Früchte schmecken aber erst richtig gut, wenn sie etwas Frost bekommen haben. Das haben sie ja in diesem Herbst noch nicht. So musste ich leider auf den Genuss verzichten.
Weiter ging die Fahrt zur Brücke über die neue B 166, die zum Autobahnkreuz Uckermark führt. Jetzt konnte die „Schussfahrt“ ins Randowtal beginnen, denn bisher ging es bergauf und wo es bergauf geht, muss es auch wieder mal bergab gehen. Das tut es hier tüchtig. 2017 wurde hier neben der alten Naturstein-Pflasterstraße an jeder Seite eine Spur mit Betonsteinpflaster verlegt. Die Baumaßnahme zum Ausbauprogramm des Oder-Welse-Radweges. Hier konnte ich meinem „Flotten Otto“ aber keinen freien Lauf gewähren, da musste ich die Bremsen anziehen. Ich entschied mich am Kastaniendreieck für den direkten Weg nach Wendemark, eine Fahrt ins Randowtal wird an einem anderen Tag gemacht.
Unterhalb des Berges wurde die Straße durch den Wald bis zur Wendemarker Grenze 2017 als Bitumstraße ausgebaut. Ein wunderbares Teilstück des Oder-Welse-Radweges.
Der Zichower Wald zeigte sich auch schon in beginnender herbstlicher Farbenpracht.
Wenn nun erst mal die ca. 1000 m auf der Wendemarker Gemarkung bis zum Dorfeingang von Wendemark ausgebaut sind, kann jedes Radlerherz höher schlagen. Bis dahin müssen mein Drahtesel und ich noch einige Härtetests auf der Stuckerpiste überstehen.
Nun geht es immer unterhalb an den Wendemarker Höhen entlang, die an dieser Seite das Randowtal begrenzen. Das Getreide für die nächste Ernte geht schon wieder auf. Hier wächst es einigermaßen, trotz der Trockenheit. Aber das große Rapsfeld oben auf dem Berg an der B 166 musste umgeackert werden. Nun müssen wir unseren Rapsblütentag 2019 ohne Rapsblüten in Wendemark durchführen, d.h. am Briester Weg hinter der B 166 Brücke, brauchte der Raps nicht umgeackert zu werden. Die Randowwiesen brachten in diesem Jahr aufgrund der Trockenheit nur mäßigen Ertrag. Die kleinen Gräben waren teilweise ausgetrocknet. Im vergangenen Jahr versanken die Wiesen im Wasser und die Kühe im Morast.
Oh wie schön der Zichower Wald …
Der Weiterbau der zwei Windkraftanlagen an der B 166 neben der Großen Hölle verzögert sich, weil durch die Baustelle auf der Autobahn keine Schwerlasttransporte fahren können. Die bisher errichteten Mastteile wurden oben mit einer Abdeckhaube geschlossen. Eigentlich sollten sie schon bald Strom erzeugen.
Von 13:00 – 16:00 Uhr war ich am 11.10.18 unterwegs, um meiner Heimatliebe neue Nahrung zu geben und den Körper zu stärken.
Mein Bikecomputer zeigte eine Strecke von 19,18 km an, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 14,14 km/h. Ich fütterte meinen Drahtesel vorsorglich mit Strom und stellte ihn in den Stall.
Ich freue mich auf den nächsten „Ausritt“, man müsste nur mehr Zeit haben. Ich wollte es immer nicht glauben, wenn die Rentner früher gesagt haben: „Rentner haben niemals Zeit“. Doch merke ich seit 2011 nun auch, dass die Zeit immer knapper wird und die Lebensuhr immer schneller läuft, ich dagegen immer langsamer. Die Frage, wann und wie wird meine Lebensuhr mal still stehen, schleicht sich immer häufiger in die Gedanken, doch zurzeit tickt sie noch einigermaßen richtig.
Die Mondsichel am Ast, Herbstfarben und -früchte