2015 – Erkundung des Randowtals

Drahteselgeschichte vom 08.11.2015

von Bärbel Würfel

Der November zeigt sich von einer ganz milden und zarten Seite. Ein bisschen Nebel, ein bisschen Regen, ein bisschen Wind und recht viel Sonnenschein. Die milden Temperaturen am 08.11.15 locken zu Taten im Freien. Mein alternder Körper kann die strahlende Sonne auch gut gebrauchen. Also rauf auf den Drahtesel Otto und ab , na wohin wohl? Ins Randowtal.

Lindenallee Herbstlaub

Die Laubschlacht haben wir in diesem Jahr geschlagen, schon in den letzen Oktobertagen war alles Laub von den Linden gefallen. In dem neuen Straßengraben kann es sich gut sammeln. In ein paar Jahren wird vom Graben nichts mehr zu sehen sein.

Fünf auf einen Streich

Eigentlich wollten wir am 07.11.2015 die Einweihung des Oder-Welse-Radweges durch Wendemark feiern, aber das musste verschoben werden, weil aus dem Ministerium keine Vertreter Zeit hatten, um die offizielle Einweihung vorzunehmen. Nach Auskunft des Amtsdirektors des Amtes Oder Welse soll die Einweihung erst im Frühjahr 2016 stattfinden. Nun, wir nahmen das ganz gelassen hin. Wir hatten gleich einen viel besseren Termin parat, nämlich den 28.05.2016. Dann können wir gleich fünf Höhepunkte auf einen Streich erledigen.

  • 1. 285 Jahrfeier Wendemarks
  • 2. Offizielle Einweihung des Teilstücks des Oder-Welse-Radweges
  • 3. Straßenfest unter dem Motto: „Alles was rollt ,und Räder hat soll auf die Straße“
  • 4. Abschluss einer Wette mit unserem ehrenamtlichen Bürgermeister und Ortsvorsteher:
  • Wetten, dass die Wendemarker es nicht schaffen, an diesem Tag soviel Räder über die Straße rollen zu lassen, wie Wendemark alt ist. Es müssten mehr als 285 Räder werden. Dann würden wir die Wette gewinnen. Der Wetteinsatz wurde noch nicht festgelegt.
  • 5. 63. Kinderfest

Wir sind dann zwar noch nicht so gut wie das tapfere Schneiderlein, der Sieben auf einen Streich erledigt hat, aber vielleicht fällt uns bis dahin noch was ein. Das Wetter am 07.11.2015 wäre für unser Straßenfest auch ideal gewesen, doch nun hoffen wir auf noch besseres Wetter am 28.05.2016.

Zu viele Feste können wir den Wendemarkern auch nicht mehr zumuten, denn die fleißigen Helfer sind mit den Jahren alt geworden und können nicht mehr so zupacken, wie sie es sicherlich noch gerne möchten. Der Kreis der freiwilligen Helfer wird immer kleiner und immer älter. Ebenso die Besucher.

Jo wi könnt!

Getreu unserem Motto „Jo wi könnt!“ (Ja, wir können es) bekommen wir das gemeinsam im nächsten Jahr wieder hin.

Anmerkung Juni 2016: Unsere geplanten Vorhaben zur Einweihung der Straße fanden nicht statt, weil die Straße noch nicht offiziell eingeweiht wurde. Das soll erst stattfinden, wenn das letzte Teilstück des Oder-Welse-Radweges bis Zichow fertig ist. Ob das jemals passiert – wer kann das wissen.

Nun aber zu meiner Fahrt. Die Straße durch Wendemark vom Bahnhof bis zum Ortsausgang in Richtung Zichow ist zu 99 % fertig. Gegenwärtig wird die Buswendeschleife bei den Grundstücken Lindenallee 35 – 39 gebaut. Schwierig gestaltet sich an dieser Stelle die Straßenentwässerung; hier läuft bestimmt seit über 100 Jahren schon das Niederschlagswasser zwischen den Grundstücken Lindenallee 36 und 37 in einer offenen Rinne in den Graben am Kulturweg. Ich selbst habe in der Lindenallee 36 auch einige Jahre gewohnt und mehrere Überschwemmungen miterlebt. Nun soll ein Graben oberhalb der Straße das Niederschlagswasser, das von den Bergen fließt, aufnehmen. Durch Sickerschächte soll es weiter mittels Rohre, die in die Erde verlegt werden, in den Graben unterhalb der Gehöfte laufen. Wir werden erleben, ob Theorie und Praxis funktionieren.

Straßenentwässerung

Die Straßenränder und die Gräben schmücken sich mit frischem Rasengrün. Auf der Straße rollt das Rad fast von allein, kein Gestucker löst mehr den Kalk aus den Adern und keine Pfütze muss mehr geschickt umfahren werden. Doch Vorsicht war trotzdem geboten. Einige Akazien, oder fachmännisch ausgedrückt, Robinien, wurden in dieser Woche gefällt. Sie hatten sich in über 100 Jahren zu recht knorrigen Exemplaren entwickelt. 2015 konnten sie dem Fällurteil des Baumexperten nicht entgehen. Nur leider lagen noch einige kleinere Äste auf der Straße und wenn die in die Speichen geraten wären – dann hätte mich mein Drahtesel Otto gnadenlos abgeworfen. Doch alles ging gut.

Robinienfällung

In der Wiese am Wiesenweg waren neue Einzäunungen entstanden; sicher werden die einzelnen Rinderherden bald wieder auf dieser Wiese zusammengetrieben, auf Hänger verladen und in die Ställe gefahren. Für einige Rinder wird es die letzte Saison auf dem Wendemarker Grünland gewesen sein. Andere werden wohl hier den Kranich-, Kiebitz- und Kuckucksruf noch mehrere Jahre hören. Die diesjährigen Kälber haben sich gut entwickelt; die Bullen in den Herden werden auch fleißig gewesen sein und die Grundlage für neuen Nachwuchs im nächsten Jahr geschaffen haben.
Mein Drahtesel und ich werden die Sache im Auge behalten.

Kuhtransport (Fotos aus verschiedenen Jahren und Jahreszeiten)>

Fuchs, Du hast die Gans gestohlen …

Die zwei jungen Füchse, die ich im Frühjahr an ihrem Fuchsbau in der Grabenböschung ungestört beobachten konnte, habe ich nicht mehr gesehen. Sie sind schlauer geworden und wittern in mir bestimmt einen Feind. Es kann aber auch sein, dass der Jäger, der in seiner „Rheumavilla“ (Hochsitz) auf der Lauer lag, sie vor die Flinte bekommen hat. Im Dorf haben einige Geflügelhalter über das räuberische Verhalten der Füchse geklagt und ihnen Rache geschworen. In Passow haben Füchse sich häufig am jungen Geflügel vergriffen und in manchem Stall gründlich Inventur gemacht. Der Weihnachtsbraten musste nachgezüchtet werden. Wie heißt es so schön in einer Bauernweisheit: „Kräht morgens kein Hahn im Hühnerstall, machte nachts wohl ein Fuchs `nen Überfall.“ Fressen und gefressen werden, das ist ein Naturgesetz. Hätte der Fuchs die Gans nicht gefressen, hätte das mit Sicherheit der Mensch getan.

Da kramte ich in meinen grauen, immer enger werdenden Gehirnwindungen das Kinderlied „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ hervor. Da heißt es in der letzten Strophe „Liebes Füchslein lass dir raten, sei doch nur kein Dieb, sei doch nur kein Dieb. Nimm, du brauchst kein Gänsebraten, mit der Maus vorlieb. Nimm, du brauchst kein Gänsebraten, mit der Maus vorlieb.“  Doch woher soll der Fuchs das wissen, die Kinder von heute klären ihn mit dem Lied nicht mehr auf.

Füchslein in der Grube saß

Frische Schlempe braucht das Feld

Der Wendemarker Cowboy war wieder mit seinem Getränkewagen unterwegs und füllte die Getränkebar der Rinder auf.
Die Wiesenmahd war in diesem Jahr nicht so ertragreich wie in den vergangenen Jahren. Der fehlende Regen ließ das Gras nicht so üppig nachwachsen. Genügend Gülle und Schlempe wurden aber gefahren, auch wenn uns Wendemarkern in diesem Jahr der Anblick der Güllefahrzeuge aufgrund des Straßenbaus verborgen blieb, jedoch vom Duft konnten wir wieder mehrere Nasen voll nehmen.
Ende Oktober wurde nochmal ein Wiesenschnitt durchgeführt und zu Silageballen gepresst, doch die Ballen liegen überschaubar in der Wiese. Es wächst auch immer mehr Schilf in den Wiesen; das ist sicher nicht so gut für die Grünlandwirtschaft.

Getränkewagen

Ich gönnte meinem Drahtesel ab und zu eine Verschnaufpause, die wärmenden Sonnenstrahlen wollte ich länger genießen. Der Schönower Wald bietet mit der Herbstfärbung der Lärchen zwischen den dunkelgrünen Kiefern einen wunderschönen Anblick. Auf der Randow entdeckte ich mehrere Schwäne, Altschwäne und auch einen grauen Jungschwan. Vor einigen Jahren hatten sich hier im November viele Singschwäne zur Rast vor dem Weiterflug niedergelassen.

Fluszenen mit Singschwänen

Rettung aus höchster Not

Die Gedanken an die Vergangenheit ließen sich auch nicht vertreiben und ich erinnerte mich daran, wie ich im Spätherbst mit meiner Mutter unsere Kühe hüten musste. In meiner Erinnerung war das Wetter auch nicht sehr angenehm, wir kuschelten uns unter einer Plane auf einem Strohsack aneinander. Die Kühe durften wir aber nicht aus den Augen lassen, denn wenn sie auf der Wiese des Nachbarn gefressen hätten, hätte es bestimmt Ärger gegeben. Meine Mutter erzählte mir Geschichten und wir sangen gemeinsam Volkslieder, doch als sehr langweilig ist mir das Kühe hüten in Erinnerung geblieben. Das passierte ja zum Glück auch nicht oft.
Früher waren die Wiesen in einzelne kleinere Parzellen eingeteilt. Jeder Bauer hatte seine Koppel mit Eichenpfählen eingezäunt, an denen der Koppeldraht befestigt wurde. In der Koppel wurde am Rand ein Loch ausgehoben, das wurde oben mit Baumstämmen ringsherum befestigt und eingezäunt. Dort drin sammelte sich das Trinkwasser für die Kühe. Mittels eines Schöpfeimers musste das Wasser in den Kumm gefüllt werden. 
Die Kinder auf den Bauernwirtschaften mussten auch abends immer die Kühe von der Koppel holen.
Da ich bis 1958 das einzige Kind auf der Wirtschaft meiner Großeltern und Eltern war, musste ich das ohne Wenn und Aber tun. Manchmal machte es ja Spaß.

Die kleine Kuhhirtin

Eine Tour ist mir in ganz schlechter Erinnerung geblieben: Ich hatte in meinem 6. Lebensjahr ein kleines Fahrrad bekommen und mit dem fuhr ich dann einige Jahre später zur Koppel, die ca. 1 km entfernt war. Es war Herbst, es hatte viel geregnet, der Koppelweg war sehr morastig. Zur Koppel hin konnte ich ja fahren, aber zurück musste ich hinter den Kühen schieben. Das Rad ließ sich immer schwerer schieben, bis sich nichts mehr drehte. Tragen konnte ich kleiner Knirps mein Rad auch nicht. Das Rad einfach am Wegesrand liegen lassen, das ging gar nicht. Ich musste aber doch die Kühe nach Hause bringen. Sie bemerkten natürlich, dass die kleine Kuhtreiberin nicht hinterher kam und die Kühe nutzten die Gelegenheit, um durch das Topinamburfeld des VE-Gutes zu laufen. Es war eigentlich meine Aufgabe, das zu verhindern. Meine Verzweiflung wurde immer größer und ich begann jämmerlich zu heulen. Doch es nahte Rettung. Eine junge Frau musste die Kühe auch von der Koppel holen; sie tröstete mich, besah sich den Schaden an meinem Rad, kratzte den Modder, der sich zwischen der Fahrradgabel und unter dem Schutzblech vom Vorder- und Hinterrad angesammelt hatte, mit einem Stock heraus. Siehe da, das Rad drehte sich wieder. Gewusst, wie! Nur von unseren Kühen war nichts mehr zu sehen. Ich mochte mir das Donnerwetter, das mich zu Hause sicher erwarten würde, gar nicht vorstellen. Bärbel kommt ohne Kühe nach Hause, welche Schande, und wo waren die nur geblieben? Die Existenzgrundlage meiner Eltern und Großeltern hatte ich zerstört. Oh weh, oh weh. Die Sonne hatte sich schon für diesen Tag verabschiedet. Der Mond sah auf mich herunter, auch wenn er noch ziemlich blass aussah. Mein Geheule nahm an Lautstärke zu, als ich auf den Hof fuhr. Mein Vater und mein Opa waren noch damit beschäftigt, die geernteten Kartoffeln vom Gummiwagen in den Keller zu forken, es war ja in der Zwischenzeit schon ziemlich schummrig geworden. Sie fragten: „Wo kümmst Du da jetzt irst her? Und wat issa los, warum hülst du denn so dull?“(Wo kommst du denn jetzt erst her? Und was ist denn los, warum weinst du so doll?)
Ich beichtete, was mit meinem Fahrrad geschehen war und dass mir die Kühe ins Topinamburfeld ausgerissen sind und ich jetzt nicht weiß, wo sie sind. Mein Vater lachte nur und sagte: „Goh un kik mol innen Stall, dor stohns all un luern, dat ener kümmt und se melkt“. (Geh und schau mal in den Stall, da stehen sie alle und warten, dass einer kommt und sie melkt.)
Also nichts mit dumme Kuh, die Kühe hatten ihren Weg auch allein in den Stall gefunden. Eine schwere Last fiel von meinen Schultern, und ich setzte mich im Kuhstallgang hinter den Kühen auf ein Bund Stroh und sah meiner Mutter und meiner Oma beim Melken zu. Sie sangen dabei Lieder und erzählten Geschichten.

Koppelweg

Kühe melken bei Familie Krüger

Ein Bett im Kuhstall

An diesem Abend schlief ich auf dem Bund Stroh wohl ganz schnell ein, so hatte mich das Erlebnis an diesem Tag geschafft. Ich bin aber öfter im Kuhstall auf einem Bund Stroh eingeschlafen, denn im Herbst und im Winter, in der Schummerstunde, wollte ich nicht so gerne allein im Haus bleiben weil mir dann gruselig war. Einen Fernseher, der einem die Zeit vertrieb, gab es noch nicht, und allein spielen machte auch keinen großen Spaß.
In den 19-siebziger Jahren wurden die Wiesenwege im Zuge der Komplexmelioration mit Betonspurplatten befestigt.
So können die immer größer werdenden Fahrzeuge, auch noch heute, ungehindert das grüne Gold aus den Randowwiesen transportieren. Und den Radlern kann so ein Missgeschick, wie mir, nicht mehr passieren.

Weiter kramte ich in meinen Erinnerungen: Amtsrat Paul Schreyer, berichtet in seinen Aufzeichnungen „Wirtschaftliche Umstellung der staatlichen Domäne Wendemark während meiner Zeit als Domänepächter von 1893 – 1926“, aufgeschrieben für die Wendemarker Chronik, folgendes:

… Häckselstroh holte ich mir von meinem Schwager de Heureuse aus Niederlandin und dann waren auch eine Fuhre von Herrn Tesslar aus Pinnow. Heu war noch leidlich von den nicht entwässerten Randowwiesen, die mit Seggegräsern bestanden waren, vorhanden. Die Kühe erhielten das Grundfutter von diesem Heu und dazu 3 Pfd. Kraftfutter und Runkeln, soweit der Vorrat reichte. Nachdem so 3 – 4  Monate gefüttert war, erlebte ich einen schweren Tag, der mit erheblichem Verlust verbunden war.

Eines Morgens konnten 70 Kühe nicht aufstehen. In meiner Bestürzung fuhr ich zur tierärztlichen Hochschule nach Berlin und nahm sofort mit Prof. Dr. Eggling Rücksprache, der mir von meiner Studienzeit persönlich bekannt war.

Es wurde festgestellt, dass sämtliche Tiere an Knochenbrüchigkeit in Folge des kalkarmen Heues erkrankt waren. Es war bei dem besonders schweren Anfang ein harter Schlag 10 Kühe zu verlieren, zumal ich für teures Geld Holländer Vieh importiert hatte. Als Gegenmittel wurden pro Kopf 10 Pfd. Sesamkuchen und Rapskuchen des hohen Kalkgehaltes wegen über längere Zeit gegeben. Mein Missgeschick hatte sich in der Umgegend schnell herumgesprochen und die Pächter der Randowwiesen waren ganz erstaunt zu erfahren, dass in der Kalkarmut des Heues die Ursachen ihrer alljährlichen Viehverluste lagen, dass der Ertrag der Randowwiesen nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ miserabel war. Es blieb mir weiter nichts übrig, als in der Fruchtfolge des Höhenackers einen Kleeschlag einzurichten, um wenigstens gesundes Raufutter zu haben…

Lindenallee

Auszug aus der Wendemarker Chronik

Die Lindenallee zum Bahnhof wurde nach der Pflasterung 1905/6 angepflanzt. Entsprechend der Vergrößerung des intensiven und vergrößerten Betriebes wurden mehr Deputanten eingestellt und das lebende und tote Inventar erheblich erhöht. Die Anspannung betrug nun 40 Pferde gegenüber 24 bei der Übernahme und der Rindviehbestand musste auf Konto des reichlich gewonnenen Heues sogar auf 200 Stück gegenüber 75 Stück am Anfang erhöht werden.

Auszug aus der Chronik von Paul Schreyer

Die Wegeverhältnisse spotteten jeder Beschreibung. Es gab Zeiten, wo der direkte Weg zum Bahnhof unpassierbar war. Es musste mit großem Vorspann der steile Weg vom Hof zur Chaussee (Kirchweg nach Briest) genutzt werden, um auf dem Bahnhof Güter zu verladen. Das Dungfahren und andere Arbeiten mussten dann trotz aller Dringlichkeit unterbleiben.

Ja, so war früher. Heute ist alles anders. Doch wie anders wird das „Heute“ morgen sein?