2014 – Brandenburg radelt an

Eine Drahteselgeschichte vom  12.04.2014 – Brandenburg radelt an

erlebt und aufgeschrieben von Bärbel Würfel

Brandenburg radelt an – unter diesem Motto wurde am 12. und 13. April 2014 die diesjährige Fahrradsaison in Brandenburg eröffnet. Nach dem milden Winter und den vorzeitigen frühlingshaften Temperaturen hatte die Natur in diesem Jahr schon lange ausgeschlafen. Der Knospenknall an den Linden war schon zu vernehmen und auf dem Wege lagen die Hüllen der Knospen wie gesät. Die Schneebeerensträucher im Umschwang am Bahnhof sind schon voll ergrünt.

Morgennebel

Also ab mit dem Drahtesel in den Frühling. Luft war genügend in den Reifen und die frische Frühlingsluft und der Frühlingsduft wird meinen Lungen, der Nase und meinem Gemüt gut tun.  Der Frühnebel hatte sich aufgelöst. Kurz nach 12:00 Uhr lachte die Sonne und ich gab meinem Drahtesel  Otto die Sporen in Richtung Passow.

Galerie Fahrstrecke nach Passow

Am Landiner Weg in Passow sind die Pflaumenbäume schon lange verblüht. Die Birkenbäume zeigen ihre neuen, zartgrünen Blätter, der Raps steht fast in voller Blüte. Es ist ein wunderbares Farbenspiel, das die Natur hier zaubert.

Landiner Weg

„Ärgerst du die Menschen auch noch nach deinem Tod?“

Ein Fuchs streift durch das Kornfeld. Er hat bestimmt Hunger, es ist ja Mittagszeit. Hin und wieder steigt eine Feldlerche auf und tiriliert mit schnellem Flügelschlag ihr Lied. Teilweise wurde der Waldweg, sicherlich mit einem Straßenhobel, glattgeschoben. Es radelt sich gut. Der Regen der letzten Tage hat den Sand auf dem Weg befestigt. Beim Gang durch die Schneise einer Kiefernschonung zum Brandwald, am 07.08.2008 brannte hier das Getreidefeld und ein Teil des Waldes mit ab, bekam ich, ein „in die Jahre gekommenes Mädchen“, die Beine wohl nicht mehr so hoch. Als ich über eine umgestürzte junge Kiefer steigen wollte – oder hatte mich doch eine Brombeerranke festgehalten? – landete ich jedenfalls auf der Nase. Der durch Moos und Kiefernnadeln gut gepolsterte Waldboden federte den Sturz ab und es entstand kein äußerer Schaden an mir. Innerlich kam aber wieder die Frage hoch: „Frau Würfel, was machst du, wenn dir hier mal ernsthaft etwas zustößt?“  Der innere Schweinehund antwortete: „Das wirst du dann live erleben, vielleicht wirst du als Skelett gefunden und gibst den Kriminalisten Rätsel auf und ärgerst die Menschen auch noch nach deinem Tod.“

Waldweg

Brandwald

Die zarten Grasspitzen sind am Wegesrand alle abgefressen, die waren dem Rehwild und den Hasen sicherlich besonders schmackhaft. Hummeln und Schmetterlinge suchen Futter, das finden sie ja auf dem Rapsfeld reichlich. Einige Autos auf der Verbindungsstraße Landin -Herrenhof brummen vorbei, die Sonne lacht freundlich am Himmel, doch nach und nach ziehen auch einige Wolken durch.

Am Landiner Abzugsgraben war die Weiterfahrt bis Schönermark nicht möglich, da keine durchgehende Traktorspur nach Schönermark führte. Der Landluftduft im Getreidefeld bewies, dass hier erst vor kurzer Zeit Gülle ausgebracht wurde. Doch diese Abkürzung übers Feld brachte mich zu dem Weg, der durch den Birkenwald nach Grünow führt. Hier wurde meine Radtour zur Schiebetor. Da der Weg sehr sandig war, stieg ich ab, ich wollte einer Sturzgefahr vorbeugen.
Das Getreide auf den Grünower Feldern wurde mit der chemischen Keule behandelt. Welchen Schaden die chemischen Substanzen in der Umwelt anrichten, wird man erst später zugeben, wenn es für die Natur und die Menschheit schon fast zu spät ist. Heute ist das Augenmerk der Landwirte auf die Ertragssteigerung gerichtet und das Hier und Heute zählt. Die eventuell aufkommenden Gedanken an die Schäden für die nachfolgenden Generationen werden verdrängt. Doch das ist ja nicht nur bei den Landwirten so, das verdrängt die gesamte herstellende Industrie auf der ganzen Welt. Selbst jeder einzelne Mensch macht sich wenig Gedanken beim Einsatz von den tollen Putzmitteln, Waschmitteln, Kosmetika, Plastetüten u.v.m, die uns heute im 21. Jahrhundert zur Verfügung stehen.

Weg nach Grünow

Eine kurze Rast und ein toller Weitblick ließ die negativen Gedanken schnell wieder verfliegen.
Es ist sehr selten, dass ich auf meinen Touren weitere Radfahrer treffe, aber heute wollte es der Zufall, dass ich auf eine Frauenradlergruppe aus Schönermark traf. Diese war auf dem Weg nach Wendemark; ihr ursprüngliches Ziel war an diesem Tag ein Kaffeeklatsch im UHU-Nest. Dieses UHU-Nest wurde im November 2011 mit Hilfe des rbb im Rahmen der Aktion „96 Stunden“ zum Dorfgemeinschaftshaus ausgebaut. Den gewünschten Termin hatte ich leider absagen müssen, weil an diesem Tag das UHU-Nest besetzt war. Es war ein Bastelnachmittag für die Kinder geplant, die zu Ostern noch ein paar kleine Überraschungen basteln wollten.
Das schöne Frühlingswetter nutzen die Frauen nun doch zur Fahrt nach Wendemark; sie wollten sich das UHU-Nest nun bloß von außen anschauen. Ihre eigene Verpflegung hatten sie im Rucksack dabei.
Da ich noch auf „Abwegen“ gehen und fahren wollte, konnte ich sie auf dem direkten Weg über Passow nach Wendemark nicht begleiten.

Vorbei führte mich mein Weg an Augustenhöhe, einem ehemaligen Vorwerk von Passow, heute findet man nur noch ein paar Ruinen und einen Findling, auf dem steht „Gut Augustenhöhe bis 1952“. Den hat wohl der letzte Besitzer dort aufstellen lassen.

Augustenhöhe

Herr Friedrich –Karl Baas hat im Angermünder Heimatkalender von 2005 die Geschichte  Augustenhöhe- Gemarkung Grünow- ein verschwundener Gutshof aufgeschrieben.

Hier noch ein Auszug aus der Kirchenchronik zu Briest Uckermark
Hinweis: Revolution 1848

Die Revolution von 1848 schlug auch bis hierher ihre Wellen. Auf dem Gehöft zwischen Passow und Schönermark, früher Demokratenhof, jetzt Augustenhöhe genannt, fanden häufig demokratische Versammlungen statt. Besonders ein Lehrer aus Seehausen trat als Redner auf. Auch viele Arbeiter aus Briest gingen hinüber, ihr Wunsch war, eigenes Land zu erhalten. Die bäuerlichen Besitzer in Briest verbanden sich zu einer Schutzwehr, die sich mit Lanzen mit schwarz-weißen Fähnchen bewaffnete. Ein ehemaliger Soldat exerzierte mit dieser Truppe und unterwies sie in der Handhabung dieser Lanze.
_________________________________________________________________________


Es fiel mir ein, dass ich doch mal einen schaurigen Zeitungsbericht gelesen hatte; den möchte ich den Leserinen und Lesern meiner Geschichte nicht vorenthalten:
Auszug aus der Angermünder Zeitung:

Nr. 96 Di. 26. April 1921

Passow: Frecher Raubüberfall

In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag drangen 5 bewaffnete Kerle in das Gehöft des Landwirts Buchholz, Ausbau Augustenhöhe, ein. Mit der Axt verschafften sich die Einbrecher Eingang, drangen in die Wohnung der erschreckten Inhaber und mit vorgehaltenen Revolver wurde der Besitzer, der z. Z. bettlägerig ist, sowie der im Nebenzimmer liegende Schwager von den Banditen in den Zimmern festgehalten. Inzwischen musste Frau Buchholz unter Drohungen alle Behälter öffnen und die Diebe nahmen alles Mitnehmenswerte heraus. So fielen den Räubern etwa 11000 Mark, Schmucksachen, Uhren, Armbänder sowie ein Drilling und ein Paar neue Knabenschuhe zum Opfer. Nach vollendeter Tat verließen die Diebe, welche ihr Gesicht schwarz gefärbt hatten, unter Mitnahme ihrer Beute auf demselben Wege das Haus.

Die Diebe hatten vorher die telefonischen Leitungen zerstört, dagegen das elektrische Licht während des Einbruchs eingeschaltet.

Der sofort hinzugerufene Landjäger Slosecki nahm die in dem aufgeweichten Boden hinterlassenen Spuren auf, welche nach dem Vorwerk Stendell führten. Hier nahm er zwei Schäferknechte fest, die in dem dringenden Verdacht stehen, an der Tat beteiligt gewesen zu sein, und wurden diese auch von der Familie Buchholz beim Gegenüberstellen als Mittäter erkannt. Trotzdem bestreiten diese beiden die Tat.

Sie wurden dem Angermünder Amtsgericht zugeführt. Für die Ergreifung der anderen Räuber ist eine Belohnung ausgesetzt worden. Am Tatort wurde ein Dolch zurückgelassen. Alle, die in dieser Nacht verdächtige Gestalten bemerkten, wollen dies sofort dem nächsten Landjägeramt oder den Polizeiverwaltungen mitteilen.

Über Augustenhöhe fand ich noch mehr Wissenswertes in alter Literatur. Das ergibt aber mal eine gesonderte Geschichte.

Ein Feldweg führt hinunter ins Welsetal. Auf der Höhe angekommen, geriet ich wieder ins Schwärmen über die wunderschöne Landschaft in unserer Gegend. Meine innere Stimme sagte mir: „Was hattest du doch für ein Glück, dass Du nun schon 65 Jahre hier in der Uckermark leben kannst, es dir relativ gut geht, und du dich auch an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen kannst. Dein geistiger Horizont ist zwar begrenzt, aber deine Heimatliebe reicht weit, weit über diesen Horizont hinaus.“ Ich habe ja auch schon vieles in der weiten Welt gesehen, es gibt überall wunderschöne Fleckchen auf der Erde, die mich in Erstaunen versetzt haben. Aber die heimatliche Landschaft ist einfach zum Verlieben schön.

Blau, weiß, braun, grau, grün, gelb – die Farben der Uckermark an diesem herrlichen Frühlingstag. Ich lasse meine Blicke schweifen und entdecke den Kirchturm von Biesenbrow, die Heimat und das „Kummerow“ von Ehm Welk. Der Kirchturm von Grünow versteckt sich hinter hohen Bäumen. Grünow wurde früher auch auf alten Landkarten als Verkehrt Grünow bezeichnet, weil der Kirchturm nicht an der Westseite der Kirche steht, sondern an der Ostseite. Genaue Angaben erfährt man in einer Sage, die darüber berichtet. Der Kirchturm von Golm verschwindet im Frühlingsdunst. Den stattlichen Kirchturm von Briest kann man nicht übersehen. Briest feierte 2013 schon den 725. Jahrestag. Die Milchproduktionsanlage (MPA), die 1976 in Betrieb genommen wurde und in der aus ca. 2000 Kühen die Milch mit einem Melkkarussell gemolken wurde, ist weithin sichtbar. In der Anlage wird heute auch noch Milch produziert, die Anzahl der Kühe wurde aber reduziert. Die sechs 1974 errichteten Hochsilos, ehemals weithin sichtbare Erkennungsmerkmale der MPA, wurden schon im Juni 2011 abgerissen. Weiter schweift mein Blick über die ehemalige Müllkippe von Briest, die schon vor einigen Jahren eingeebnet und begrünt wurde, die 6 Windräder im Windpark Briest, die 2003 errichtet wurden und die unzähligen Windräder am Horizont bei Schmölln.
Gut sichtbar sind die vier Brücken der B 166n für die Ortsumfahrung Passow, die ab 2004 gebaut und am 13.10.2006 eingeweiht wurde. Ich sehe mein Vaterhaus, das meine Eltern 1957/58 im Briester Weg gebaut haben, den Bahnhof Passow, der 1843 an der Berlin-Stettiner Eisenbahn errichtet wurde und heute der Gemeinde Passow gehört. Der nicht nur auf der Denkmalliste steht, sondern bestimmt auch auf der Todesliste. Der Kirchturm vom Blumberg, der hoch über den Bergen, am Rande des Randowtals leuchtet, ist nicht zu übersehen. Der Kirchturm von Passow, der 2008 saniert und am 03.10.2009 eingeweiht wurde, strahlt im Sonnenschein.  

Fernsicht

Mit viel Sonnenenergie aufgetankt, doch mit knurrendem Magen, kam ich um 14:50 Uhr wieder in Wendemark in der Lindenallee 6 an.

Heimweg


Nach kurzer Stärkung und kleiner Verschnaufpause, sattelte ich meinen Drahtesel um 15:25 Uhr erneut und ab ging es auf die Wendemarker Höhen, die das Randowtal begrenzen. Das wurde heute eine echte Berg- und Talfahrt im Randow-Welsetal oder auch Randow-Welsebruch genannt.
Ich nutzte wieder die Traktorspuren als Weg, so richtete ich nur wenigen Flurschaden an.

Seit einigen Tagen sind zwei Störche auf dem Nest in der Speicherstraße beobachtet worden, aber leider haben sie meinen Fototermin verpasst, sind sicherlich auf Nahrungssuche.

Immer wieder ergreifend für ein heimatliebendes Herz: der Blick von den Wendemarker Höhen auf die Häuser am Rande des Randowtals und ein Blick in die grünen Weiten des Tales. Vom Backofenberg ist der Anblick besonders reizvoll.

Blick auf Wendemark

Der Kirchturm von Blumberg steht wie ein Leuchtturm an der Küste und schaut auf das weite Randowtal. Ich hatte ihn ja schon auf den Passower Höhen erblickt. Vor Jahren war ich schon mal im Mai vormittags auf dem Turm, um mal einen Blick vom Kirchturm Blumberg auf Wendemark zu werfen. Den Vormittag wählte ich, weil der Stand der Sonne für Fotos dann am günstigsten ist. Leider war an diesem Tag keine klare Fernsicht.

Dreckspuren, Wiesengraben Kirchturm Blumberg – Traktorspuren Gemarkung Wendemark

Nach dem Regen der letzen Tage waren die Traktorspuren sehr rutschig und das Getreide noch nass. Der Lehm blieb an den Fahrradreifen haften, meine Schuhe und meine Hosenbeine waren nass und mit Lehm beschmutzt. Zum Glück hatte ich nur meine Ströpersachen an.

Auf dem Feld ging es bis zur Zichower Grenze, die durch eine Hecke markiert ist. Einen Durchschlupf fand ich auch, so konnte ich weiter in einer Traktorspur bis zum Zichower Wald radeln. Hier hatten sich das Profil der Räder des Traktors besonders tief in den Boden gedrückt und die „ rasante Abfahrt“ wurde so zum Härtetest. Das Blut in den Armen wurde durchgeschüttelt und sie begannen tüchtig zu jucken. Das setzte sich auf der Pflasterstraße in Richtung Kastaniendreieck fort. Die Wegweisersteine, die vor einigen Jahren vom Amt Gramzow aufgestellt wurden, sind teilweise schon wieder eingewachsen. Ich finde auch ohne diese Markierung wieder nach Hause.

Traktorspuren in der Gemarkung Zichow

Das Kastaniendreieck

Die Frühlingsfarben, die Frühlingstöne und das Frühlingswetter ließen die Frühlingsgefühle erwachen und verliehen mir Kraft für die Rücktour durch das Randowtal. Meine Knie und mein Hinterteil nahmen mir meine heutige Gewalttour schon etwas übel, aber da mussten sie nun durch und als ich am Abend die vielen Fotos anschaute, verzogen sich die Schmerzen allmählich.

Heimfahrt durch das Randowtal

Wer weiß wie, oft ich diese waghalsigen Touren über die Wendemarker Feldmark noch machen kann. Mit 65 Jahren gelangt man doch immer schneller an seine Leistungsgrenzen. Gegen 18:00 Uhr konnte ich meinen Drahtesel wieder in den „Heimatstall“ stellen. Wie gut, dass er mich auch an diesem Tag wieder gut durch das Gelände gebracht hat. Am 13.04.14 lachte die Sonne schon bei ihrem Aufgang mit mir um die Wette.

Knospenknall